Herkesin Meydanı — Platz für Alle

Antirassistisches Mahnmal

an der Keupstraße in Köln

Stellungnahme der Initiative Herkesin Meydanı – Platz für Alle

 Mahnmal Keupstraße – der lange Weg ein würdiges Gedenken gegen Rassismus zu erkämpfen

 

 

 

 

 

 

Herkesin Meydanı – Platz Für Alle

 

Mahnmal Keupstraße – der lange Weg ein würdiges Gedenken gegen Rassismus

zu erkämpfen

 

Der Rat der Stadt Köln hat Ende letzten Jahes endlich den Weg

freigemacht, gegenüber der Straße, wo 2004 die Nagelbombe des NSU

explodierte, ein Mahnmal zu errichten. Bei dem Terror-Akt waren

zahlreiche Menschen schwer verletzt worden. Bereits 2001 war bei einem

Nazi-Anschlag in der Kölner Probsteigasse die Tochter eines

Einzelhändlers schwer verletzt worden. Das Motiv: Rassismus. Neun Jahre

lang waren die Vermutungen der Betroffenen, dass die Bombenleger Nazis

gewesen sein müssen und ihre Beschwerden über die Täter-Opfer-Umkehr,

nicht gehört worden. So zogen sie es vor, zu schweigen. Erst nach der

Selbstenttarnung des NSU 2011 gründeten einige von ihnen gemeinsam mit

solidarischen Menschen die Initiative „Keupstraße ist überall“. Zuvor

hatten Bewohner*innen der Straße, ermutigt von der Initiative „Dostuk

Sinemasi“, bei einer antirassistischen Filmreihe erstmals öffentlich

darüber berichtet, wie der Angriff der Naziterrorist*innen seine ganze

Zerstörungsgewalt erst durch die „zweite Bombe“, nämlich durch die

Polizeiermittlungen und die mediale Hetze, entfalten konnte. In den

folgenden Jahren fanden auch andere Betroffene rassistischer Gewalt den

Mut, über ihre Erfahrungen und ihre Geschichte zu sprechen. Seitdem

fordern sie gemeinsam Erinnerung, Aufklärung, Gerechtigkeit, politische

Konsequenzen.

 

Nach der Selbstenttarnung des NSU Ende 2011 wurde in Köln erstmals die

Forderung nach einem Gedenkort in direkter Nachbarschaft zur Keupstraße

laut. Im Dezember 2015 beschloss der Rat der Stadt, „in der Keupstraße

beziehungsweise in ihrer unmittelbaren Nähe ein Denkmal zu errichten“

und lobte ein künstlerisches Wettbewerbsverfahren zur Findung eines

geeigneten Entwurfs aus. Schließlich einigte sich die Jury, darunter

auch Bewohner*innen der Keupstraße, Betroffene der Bombenanschläge und

Stadtteilinitiativen einvernehmlich auf den Entwurf des Berliner

Künstlers Ulf Aminde für einen interaktiven Gedenkort, der an eben jener

Ecke Keupstraße/Schanzenstraße entstehen soll. Doch was so hoffungsvoll

begann, geriet alsbald ins Stocken. Die Eigentümer des Geländes wollten

davon nichts wissen und auf dem Gelände ein Geschäftszentrum errichten,

ein lukratives Investment in einem besonders von Gentrifizierung

bedrohten Stadtteil. Mit dem lapidaren Verweis, dass der gewünschte

Standort Privateigentum sei und die Kommune somit keine

Handlungsmöglichkeiten habe, stahlen sich die Kölner Politiker*innen und

die Verwaltung lange aus der Verantwortung für die Umsetzung des

Ratsbeschlusses von 2015. Es dauerte weitere sechs Jahre, bis zum

Ratsbeschluss am Jahrestag der Reichspogromnacht 2021.

 

Nach dem Tribunal „NSU-Komplex auflösen“ 2017 in Köln hatte die Kölner

Ortsgruppe das Mahnmal zu einem Schwerpunkt ihrer Arbeit gemacht.

Gemeinsam mit der Interessengemeinschaft Keupstraße und der Initiative

„Keupstraße ist überall“ lud sie den Sprecher der Investorengruppe im

März 2018 zu einer Podiumsdiskussion mit dem Pädagogen und Publizisten

Micha Brumlik und dem Künstler Ulf Aminde ins VHS-Forum im

Rautenstrauch-Joest-Museum. Weil die Eigentümer absagten, blieben die

Befürworter des Mahnmals unter sich und so fiel der öffentliche Streit

aus. Im Jahr darauf initiierte Aminde gemeinsam mit anderen

Künstler*innen und Kulturschaffenden aus dem In- und Ausland einen

Offenen Brief an Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker. Doch der

Appel blieb ungehört. Im Sommer 2019 gelang Aminde gemeinsam mit der neu

gegründeten Initiative „Herkesin Meydani - Platz für Alle“ schließlich

doch ein Coup, als der Künstler eine unscheinbare, hell beschichtete

Holzplatte im Foyer des Museums Ludwig ausstellte. Bei der Präsentation

des Modells des Mahnmals im Maßstab 1:10 kam es zu einem erbitterten

Wortgefecht zwischen Vertreter:innen der Initiative, dem Künstler und

einem Reporter des Kölner Stadtanzeigers. Am Tag darauf war die

Kontroverse ausführlich in der Zeitung nachzulesen. Auch andere Medien

berichteten über das Ereignis. Das Mahnmal sei kein Geschenk für die

Bewohner*innen der Straße, sondern für unsere Stadt, die ganze

Gesellschaft, zitierte der Stadtanzeiger Mitat Özdemir von der

Initiative „Herkesin Meydani“. Er forderte die Stadtspitze auf, die

Angelegenheit endlich zur Chefinnensache zu machen.

 

Kurz darauf lancierte die Initiative einen weiteren Offenen Brief an die

Oberbürgermeisterin, den viele Initiativen und Einzelpersonen

unterzeichneten: „Statt das Mahnmal mit Nachdruck und Engagement an dem

ursprünglich vorgesehenen und von den Betroffenen geforderten Platz zu

realisieren, gibt es einen Kniefall vor den Investoren“, hieß es darin.

Die Stadtverwaltung habe Spielräume, den Gedenkort an der Keupstraße zu

realisieren und sie möge diese endlich nutzen. Die Unterzeichner*innen

unterstützten die Forderung der Initiative nach einem Bebauungsplan, der

den „Platz für alle“ an der Keupstraße/Ecke Schanzenstraße als Standort

für das Mahnmal festschreiben sollte. Im Falle eines Verkaufs möge die

Stadt ihr Vorkaufsrecht geltend machen und die für den Gedenkort

notwendige Fläche erwerben. Diese realpolitischen Vorschläge wurden in

der Öffentlichkeit tatsächlich wahrgenommen und ließen die Stadtspitze

schlecht aussehen. So geriet die Verwaltung erstmals unter Druck, weil

der Kern des Konflikts offen auf dem Tisch lag, wonach private

Interessen gegenüber dem öffentlichen Interesse nach einem Statement der

Stadtgesellschaft gegen Rassismus Vorrang eingeräumt wird. Am Jahrestag

des Nagelbombenanschlags 2020 berichtete Meral Sahin vor über 600

überraschten Zuhörer*innen auf der jährlichen Gedenkkundgebung an der

Keupstraße, Oberbürgermeisterin Reker habe ihr versichert, dass die

Stadt das Grundstück gegenüber der Keupstraße erwerben wolle, um das

Mahnmal zu bauen. Das war eine sensationelle Wende gegenüber der

bisherigen Haltung der Stadtspitze.

 

Jetzt war der Zeitpunkt günstig, den Druck auf die Stadt zu erhöhen. Die

große Empörung über den Anschlag von Hanau und die Massendemonstrationen

von Black Lives Matter ließen die Hoffnung aufkeimen, dass nun endlich

mehr Menschen in Köln für das Mahnmal auf die Straße gehen würden.

Deshalb organisierte "Herkesin Meydani" gemeinsam mit anderen Gruppen

vom Sommer bis zum Herbst 2020 regelmäßige Live-acts gegen Rassismus an

der Keupstraße, um den Ort schon jetzt zu einem Platz für Alle zu

machen. Namhafte Künstler*innen, wie Esther Dischereit, Dogan Akhanli,

Henning May, Tice, Ester Bejerano und Microphone Mafia sowie Fatih

Çevikkollu traten dort auf. So blieb das Thema vor der Kommunalwahl 2020

im Gespräch. Aus gut unterrichteten Kreisen erfuhr die Initiative wenig

später, dass die Eigentümer des umkämpften Grundstücks in

Verkaufsverhandlungen mit der Düsseldorfer Gentes Gruppe stünden. Für

diese Insiderinformation interessierten sich nun auch der Kölner

Express, der schon über den Konflikt berichtet hatte. Ein Anruf eines

Reporters veranlasste das OB-Büro, aktiv zu werden. Schließlich stand

die Behauptung im Raum, Henriette Reker, die kurz vor der Stichwahl

stand, habe ihr Versprechen gegenüber der IG Keupstraße gebrochen, das

Gelände zu kaufen. Sie beraumte eilig eine Besprechung mit

Vertreter*innen von Initiativen an, bei der Reker die Verwirklichung des

Mahnmals am gewünschten Ort zusagte. Doch in der anschließenden

Pressemitteilung war davon keine Rede mehr. Dann passierte erstmal nichts.

 

Aus der Presse war Anfang Dezember 2020 zu erfahren, dass die neue

Eigentümerin, die „Gentes Gruppe“ eine Bauvoranfrage für einen konkreten

Entwurf für das Mahnmal zur Abstimmung in die Bezirksvertretung Mülheim

vorlegen würde. Das Mahnmal soll demnach am vorgesehenen Platz gegenüber

dem Eingang zur Keupstraße entstehen, auf 576 Quadratmetern. Ganz

offensichtlich sollte im Eiltempo und ohne Einbeziehung der

Öffentlichkeit etwas beschlossen werden, um den Konflikt, der immer

höhere Wellen schlug, vom Tisch zu bekommen. Es war ein Kompromiss.

Allerdings spiegelt er die politischen Kräfteverhältnisse in der Stadt

wider, in der die Partikularinteressen von Investoren Vorrang haben.

 

Die Erinnerungspolitik in der postmigrantischen Gesellschaft lebt davon,

dass viele Menschen sich auf eine Debatte über Rassismus einlassen. Es

ist ersichtlich, dass sich die Betroffenen von rassistischer Gewalt die

Erinnerung selbst aneignen müssen und dabei auf solidarische Menschen in

der Stadtgesellschaft angewiesen sind. Der Platz an der Keupstraße, an

dem das Mahnmal entstehen wird, ist schon jetzt ein wichtiger Treffpunkt

für die antirassistische und antifaschistische Szene Kölns. So wird die

offizielle Erinnerungskultur von einer sehr aktiven migrantischen,

antirassistischen und antifaschistischen Minderheit herausgefordert.

„Meine beiden Kinder sind in Deutschland geboren“, sagt der Kuaför von

der Keupstraße. „Sie werden hier ihr Leben leben. Ich hoffe, dass ihnen

so etwas nie passieren wird und wenn dies der Fall ist, sollte niemand

mit Vorurteilen konfrontiert werden! Ich möchte nicht als Mafiosi oder

Terrorist angesehen werden. Was das Denkmal betrifft, denke ich, dass es

eine gute Sache ist. Vergesst nicht! Es soll immer im Gedächtnis

bleiben, es soll ein Fragezeichen sein! Die nächste Generation muss ihre

Rechte einfordern! Wir hatten niemanden, der uns am Arm hielt und

unterstützte!“

 

Wie nah Vergessen und Erinnern beieinander liegen zeigt die Situation

der Jugendlichen im dem Viertel, die nach dem Anschlag geboren wurden.

Sozialarbeiter*innen berichten, dass sie nichts über den NSU wussten und

erst durch ein Erinnerungsprojekt in der Jugendeinrichtung davon

erfuhren. In den Schulen sei der NSU kein Thema. Insofern kann das

virtuelle Archiv über die Geschichte der Straße und die Kämpfe gegen

Rassismus, das am Mahnmal vom Smartphone abrufbar sein wird, diese Lücke

füllen und so eine emanzipatorische Wirkung entfalten. Das Mahnmal

bietet nun die Chance, der jahrelangen Stigmatisierung der Keupstraße

zumindest symbolisch etwas entgegenzusetzen. Es ist nämlich zu

bezweifeln, dass die Gesellschaft wirklich die Lektion verstanden hat.

Denn die angeeigneten Orte, wo Menschen arbeiten oder sich einfach

treffen, die als die anderen wahrgenommen und stigmatisiert werden,

werden immer wieder angegriffen, zuletzt in Halle und Hanau. Trotzdem

macht dieser kleine Erfolg im Kampf gegen Rassismus Mut oder wie Mitat

Özdemir aus der Keupstraße sagt: “Das Mahnmal wird unser Symbol sein.

Ich habe einen Traum, über den ich hier immer gesprochen habe. Dieses

Denkmal muss kommen und es wird Menschen geben, die eines Tages Busse

mieten, um es hier besuchen zu können.“

 

Initiative "Herkesin Meydani - Platz für Alle", Januar 2022

 

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